Historischer Hintergrund
Der Wiener Dermatologe Moriz K. Kaposi (1837-1902) beschrieb in dem mit Ferdinand Hebra 1870 veröffentlichten „Lehrbuch der Hautkrankheiten“, das 1874 von Warren Tay ins Englische übersetzt wurde, erstmals eine seltene Hauterkrankung.
Diese bislang noch unbekannte Dermatose bezeichnete Kaposi zunächst als Xeroderma (Xero (gr.): trocken, dürr; Derma: Haut) bzw. als Pergamenthaut und definierte sie als eine eigentümliche Atrophie der Haut. Er verstand Xeroderma als ein eigenständiges Krankheitsbild und grenzte es von der für ihn zunächst ähnlich erscheinenden Sklerodermie ab. In einer Veröffentlichung aus dem Jahre 1882 wies Kaposi schließlich auf die wesentliche Rolle der Pigmente* und der Pigmentabnormalitäten bei dieser Erkrankung hin und gab ihr daher den Namen Xeroderma pigmentosum. Schon damals beschrieb Kaposi die Hautmerkmale dieses Krankheitsbildes sehr genau:
Die auffälligste Erscheinung war neben der pergamentähnlichen Trockenheit, Dünnheit und Runzelung der Epidermis, der scheckigen Pigmentierung und den kleinen Gefässerweiterungen, die Retraction und gleichzeitige Verdünnung der Haut.
Bereits zu dieser Zeit entdeckte Kaposi die ungewöhnlich frühe Ausbildung von Karzinomen bei einem 10jährigen Mädchen. Daneben beobachtete er die Mitbetroffenheit von Augen, Mund und Nase und stellte fest, daß die bekleidete bzw. bedeckte Haut des Stammes und der Extremitäten keinerlei Pigmentierung aufwies. Allerdings erkannte Kaposi zu diesem Zeitpunkt einen möglichen Einfluß von UV-Strahlen auf das Krankheitsbild noch nicht.
Neben Kaposi beschrieb Erasmus Wilson eine ähnliche Erkrankung, die er als general Atrophia cutis bezeichnete. Schließlich veröffentlichten auch andere Autoren Arbeiten zu dieser seltenen Hauterkrankung, für die jeweils unterschiedliche Namensgebungen verwendet wurden. Andere lehnten hingegen jede Namensentscheidung ab und sprachen nur kurz von der Kaposischen Krankheit. Im Laufe der Zeit kam es zu weiteren Dissertationen und Veröffentlichungen zu diesem Krankheitsbild mit ausführlichen Fallbeschreibungen. Hier ist insbesondere die umfassende Monographie von Rouvière aus dem Jahre 1910 zu erwähnen. Dieser beschreibt unter anderem, daß sich Kaposi im Jahre 1890 auf der Tagung der Gesellschaft der Dermatologie in Wien als „Erstentdecker“ dieses Krankheitsbildes dafür aussprach, die Bezeichnung Xeroderma pigmentosum endgültig beizubehalten.
An der historischen Entwicklung und weiteren Erforschung dieses Krankheitsbildes waren neben Kaposi noch viele andere Mediziner beteiligt:
So berichtete Albert Neisser im Jahre 1883 erstmals über das Auftreten neurologischer Symptome bei den Betroffenen. Anfangs wurde der Bericht Neissers noch ignoriert. Später wurden solche neurologischen Symptome vor allem bei Patienten der XP-Komplemen-tationsgruppen D und A wiedergefunden. Einige Jahre nach Neissers Entdeckung wurde von Arnozan der schädigende Einfluß von Licht und Luft für den Krankheitsverlauf von Xeroderma pigmentosum erkannt. Deswegen empfahl man den Betroffenen auch, sich auf keinen Fall der Sonne auszusetzen. Archambault entdeckte schließlich die wichtige Rolle der Konsanguinität der Eltern in der Entstehungsgeschichte dieser Erkrankung. Interessant ist auch, daß bereits 1900 eine leichte bis schwere Vermehrung der weißen Blutkörperchen (Leukozytose) bei den Betroffenen festgestellt werden konnte. Dies könnte evtl. die heutzutage viel diskutierte These von einer geschwächten Immunabwehr bei XP-Patienten untermauern.
Im Jahre 1932 entdeckten die beiden italienischen Ärzte Carlo De Sanctis und Aldo Cacchione bei den Betroffenen zusätzlich zu der möglichen fortschreitenden neurologischen Degeneration noch weitere Symptome wie Minderwuchs, Mikrozephalie, progressive mentale Degeneration, Choreoathetose, zerebellare Ataxie, Tetraplegie mit Verkürzung der Achillessehnen, Gehörlosigkeit und Hypogonadismus. Fortan wurde diese Symptomkombination und schwerste Form von XP als De-Sanctis-Cacchione-Syndrom bezeichnet, womit später vor allem Patienten der XP-Komplementa-tionsgruppe A in Zusammenhang gebracht wurden.
Im Jahre 1968 entdeckte Cleaver als mögliche Krankheitsursache für XP in den Hautfibroblasten der Betroffenen erstmals Defekte in der DNA-Reparatur (mangelhafter Exzisionsreparaturmechanismus). Lange vorher war bereits eine gewisse Spätform von XP entdeckt worden. Hier trat das Krankheitsbild nicht, wie sonst üblich, in den ersten Lebensjahren der Betroffenen auf, sondern zeigte sich in einem wesentlich höheren Alter (z.B. mit 15, 25, 60 oder 70 Jahren). Bei dieser Spätform des XP stellten Burk und Mitarbeiter 1971 erstmals einen Defekt in der sogenannten Postreplikationsreparatur von DNA-Schäden fest; 1972 bezeichnete Cleaver diese besondere Spätform als Variante. Da man bei der von Cleaver beschriebenen XP-Variante dieselben Zellabnormalitäten vorfand, wie bei dem vorher bereits von Jung dargestellten „pigmentierten Xerodermoid“, wurde der Begriff pigmentiertes Xerodermoid durch den Variantbegriff ersetzt.
Zuletzt wiesen De Weerd-Kastelein und Mitarbeiter im Jahre 1972 die genetische Heterogenität von XP mittels Zellfusionsstudien nach. Zu diesem Zweck wurden die Hautfibroblasten von XP-Patienten mit den Fibroblasten anderer XP-Patienten verschmolzen, um ein sogenanntes Heterokaryon zu bilden. Hierbei handelt es sich um eine Zelle mit Zellkernen verschiedener Spender, die sich in einer gemeinsamen Zellmembran befinden. Vor der Zellfusion wiesen die Zellen der XP-Patienten jeweils unterschiedliche Defekte im Reparaturmechanismus von UV-Schäden auf. In dem Heterokaryon ergänzten sich die defekten Fibroblasten gegenseitig, so daß der Reparaturmechanismus wiederhergestellt und die aufgetretenen UV-Schäden erfolgreich repariert werden konnten. Dieser Mechanismus funktioniert jedoch nur, wenn die Zellen unterschiedliche Defekte aufweisen. Daher spricht man bei Zellen, die sich hinsichtlich ihrer „normalen Funktion“ völlig oder teilweise ergänzen können, auch von Zellen aus unterschiedlichen Komplementationsgruppen. Daraus wird umgekehrt gefolgert, daß Zellen, die sich untereinander nicht ergänzen können, wahrscheinlich aus derselben Komplementationsgruppe stammen Durch die Bildung dieser sogenannten somatischen Zellhybride konnten schließlich sieben verschiedene XP-Komplementationsgruppen (XP-A bis XP-G) sowie eine Variantform unterschieden werden.
Letztlich bleibt zu erwähnen, daß die grundlegenden Kenntnisse über den natürlichen Verlauf von XP bis heute noch hauptsächlich aus einzelnen Krankheitsfallstudien (Kasuistiken) stammen. Insbesondere aus der Untersuchung von Kraemer und Mitarbeitern, die – ausgehend von weltweit veröffentlichten Kasuistiken aus 297 medizinischen Artikeln in einem Zeitraum von 1874 bis 1982 (also in einer Zeitspanne von 108 Jahren) – allein 830 XP-Fälle statistisch ausgewertet haben. Eine vergleichbare Untersuchung liegt bis heute nicht vor.